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28/11/2024
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Gesundheitstourismus zwischen Berlin und Usbekistan

Am Donnerstag, den 21.11.2024, fand in der Botschaft von Usbekistan in der Perleberger Str. 62 unter der Schirmherrschaft seiner Exzellenz, des Botschafters von Usbekistan in Berlin Herrn Dilshod Akhatov und mit der Unterstützung von Herrn Bakhriddin Aslanov, dem Presse- und Kultur Attaché der Botschaft von Usbekistan in Berlin eine Diskussion zum Thema „In welche Richtung entwickelt sich der internationale Gesundheitstourismus? Herausforderungen und Chancen einer sich verändernden Branche – aus der Sicht von Wissenschaft und Praxis, von Juristen, Versicherungen, Klinken und aus der Perspektive des Berlin-Tourismus“ statt. Die Veranstaltung war im Rahmen des „Tourismus Dialog“, d.h. eine Gruppe von Reisejournalisten, Gastrojournalisten und Touristikexperten unter der Leitung von dem österreichischen Journalisten Ewald König, als Nachfolger von Gerhard Kirsch, der bereits sein 25-jähriges Bestehen feiert. Anwesend waren auch Teilnehmer aus der Versicherungsbranche, Klinikbranche und von der juristischen Seite, darunter auch die usbekischen Delegationsteilnehmer.

Es diskutieren:

Mariam ASEFI

Medizintourismusforscherin im Fachbereich der Wirtschaftswissenschaften,

Hochschule Bonn-Rhein-Sieg in Bonn-Sankt Augustin

Thibaut LIMINSKI

Allianz Worldwide Care

Fachagentur für Kranken- und Pflegelösungen

Urs BREITSPRECHER

Rechtsanwalt, Reef Legal

Fachanwalt für Handels-, Gesellschaftsrecht und Steuerrecht

Michela KEHRER

Medical Tourism Manager

Berlin Tourismus & Kongress GmbH (visitBerlin)

und Wjatscheslaw BESRUKOW

Clustermanager Nord / Stellv. Leitung International Department Medical Park

Sie haben das Thema Gesundheitstourismus von allen Seiten beleuchtet und es umfasst vieles: Mobilität, Gastronomie, Medizin, Hotellerie, Rehabilitation, juristische Probleme bei Abrechnungsbetrug, Versicherungsprobleme und wie sich die Weltpolitik in den Bewegungen niederschlägt, so der in Berlin tätige österreichische Journalist Ewald König. Seit einigen Jahren öffnet sich Usbekistan auch für Beziehungen in Richtung Westen, so bietet es für EU-Mitgliedsländer einen Monat Visafreiheit. Besonders im medizinischen Bereich gibt es Kooperationen zwischen Usbekistan und Deutschland. Das Durchschnittsalter der Bevölkerung mit etwa 27 Jahren liegt weit hinter dem in Europa, z.B. Deutschland mit 45 Jahren. Medizinische Zusammenarbeit würde der Bevölkerung helfen, länger leben zu können. Das ist für die jungen Leute wichtig, Eine Perspektive des Austauschs sieht Ewald König darin, wenn viele von den Arbeit suchenden jungen Leuten nach Deutschland kommen könnten, um hier als Pflegekräfte für die alternde Bevölkerung zu arbeiten. Er glaubt, dass so ein Programm aufgelegt wird, denn die bilateralen Beziehungen zwischen den beiden Ländern sind sehr gut.

Michaela Kehrer, Medical Tourism Manager bei visitBerlin seit 2016, kennt sich mit dem Medizintourismus in Berlin aus. Die Hauptstadt kann als Gesundheitsstandort sehr gut mit anderen Städten und Bundesländern mithalten. Viele Berliner Kliniken unterhalten internationale Büros, an die Patienten Anfragen richten können. Außerdem bietet Berlin Tourismus eine Website, auf der Patienten die richtige Klinik für ihre medizinischen Bedürfnisse finden können. Auch das Berlin Tourismus Marketing ist aktiv im Bereich Medizintourismus.

Was man klassischerweise unter Medizintourismus versteht, Schönheitsmedizin, Zahnmedizin, Haarimplantationen, das findet in Berlin auch statt, hat aber keinen großen Anteil am Gesamtvolumen. Dagegen werden Orthopädie, Kardiochirurgie, Kardiologie und Onkologie stark nachgefragt, aber auch Behandlungen in allen Fachrichtungen durchgeführt. Patienten kommen also wegen komplexer, spezialisierter Behandlungen, die im Ausland nicht oder nicht schnell zur Verfügung stehen. Laut Miriam Asefi, Medizintourismusforscherin der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg, gibt es jedoch auch Patienten, die auf Basis des Tourismus während einer Reise oder auch Geschäftsreise Präventionsmaßnahmen, ein Check-up-Programm oder eine Kontrolle wahrnehmen und auch Schönheits-OPs durchführen lassen.

VisitBerlin betreut den Bereich Medizintourismus bereits seit 2010. Unterstützt von einem Netzwerk von Kliniken und Hotels führt visitBerlin für diese Branche verschiedene Marketing-Maßnahmen durch, nimmt an Messen und Kongressen teil, organisiert Workshops und Online-Marketing-Maßnahmen. VisitBerlin betreut FAM trips (Familiarization), wo es Reiseagenturen mit Kliniken und Hotels in Verbindung setzt, und press trips (Pressereisen), bei denen Journalisten kommen und ihnen das med. Angebot in Berlin vorgestellt wird.

Da visitBerlin von 2016-18 über City TECS ein großes Budget zur Verfügung und auch von Seiten des Wirtschaftssenats den Auftrag hatte, dieses Thema größer zu betreuen, konnte es mit diesem Anschub in jener Zeit viele Maßnahmen umsetzen und auch eine Website einrichten.

Nach Ansicht von Michaela Kehrer gibt es in der Branche „Medizintourismus“ heute einen starken Wettbewerb, die „Goldene Zeit“ ist fast vorbei. Um die Attraktivität Berlins und Deutschlands aufrechtzuerhalten, bedarf es vieler Akteure und Maßnahmen und man muss „die Ärmel hochkrempeln“.

Alle Gesprächspartner sind der Meinung, dass die Visumausstellung ein Stolperstein für den Medizintourismus ist. Von einem „Bottleneck“ in den Ländern, in denen ein Visum beantragt werden muss, ist die Rede. Ewald König sieht das Problem bei den deutschen Konsulaten, die mit dem Personal oft überfordert sind. Auch Messeaussteller aus anderen Ländern erhalten ihr Visum mitunter zu spät und können deshalb nicht an einer Messe in Deutschland teilnehmen. Die Deutsche Bundesregierung bzw. das Auswärtige Amt müsse sehr viel mehr Gewicht darauf legen, dass das besser funktioniert.

Um dieses Problem zu lösen, steht man immer wieder im Austausch mit den Botschaften in diesen Ländern und thematisiert das. Kuwait etwa hat zugesagt, dass verstärkt 5-Jahres-Multiple-Entry-Visa vergeben werden, um diese Engstelle touristisch und medizintouristisch zu lösen.

Mariam Asefi nennt das Thema Visavergabe „eine große Herausforderung, die wir in Deutschland haben“, diese mit den Kliniken zu kontrollieren und zu begleiten.

Man habe viele Nachfragen von Patienten aus dem Irak, Lybien, Usbekistan und Kasachstan, die trotz medizinischer Notwendigkeit nicht erteilt werden.

Ebenfalls eine Rolle spielt der Fachkräftemangel im gesamten medizinischen Bereich, der natürlich auch die ausländischen Patienten betrifft. Internationale Patienten, die in Deutschland behandelt werden, müssen i.d.R. mit Voranmeldung eine Wartezeit in Kauf nehmen, genauso wie deutsche Pat., d.h. es werden hier keine Kapazitäten weggenommen.

Mariam Asefi erklärt den Begriff als Unterbegriff zum Oberbegriff Gesundheitstourismus. Hierbei reisen Patienten für eine elektive Behandlung nach Deutschland oder in ein anderes Land. Nach Deutschland hinein reisen sie inbound, aus Deutschland hinaus reisen sie outbound.

Von deutscher Seite gibt es die Herausforderung, die Patienten interkulturell und sensibel zu betreuen sowie schnelle Termine zu vergeben. Geldwäsche und Sanktionen sind Hindernisse auf dem Weg.

Insgesamt spielt der Medizintourismus für Deutschland eine eher überschaubare gesellschaftliche und wirtschaftliche Rolle. Er ist ein Nischenmarkt, der aber sehr starkes Potienzial hat, denn med. Einrichtungen und Kliniken haben in 2022  1,2 Milliarden Euro (Wirtschaftswachstum bringen könnte) eingenommen. Hotellerie und Handel können ebenfalls durch Medizintourismus gepusht werden.

Medizintourismus ist ein Forschungsbereich mit Potenzial in verschiedenen Bereichen. Im Bereich der med. Daten kann man erforschen, welche Behandlungen in Deutschland angeboten werden mit welchen Ergebnissen, die im Ausland nicht zur Verfügung stehen. Man kann auch in den Forschungsbereich der IT-Technologie und Digitalisierung gehen. So wird jetzt ein Projekt über die KI angedacht: Wie kann man KI über digitale Plattformen in die Gesundheitswirtschaft integrieren? Die digitale Patientenakte und die Telemedizin sind ganz neue Forschungsfelder, die explizit mit dem Thema Medizintourismus zusammengehen.

Usbekistan ist für Deutschland Usbekistan in puncto Gesundheitstourismus ein interessantes neues Potenzialfeld. Es werden sehr starke Investitionen getätigt und gegenseitiger Austausch durchgeführt. Nachfrage von Behandlungen aus Usbekistan in Deutschland ist vorhanden. Um hier zu unterstützen, werden die Bereiche Wissenstransfer, Ärzteaustausch, Pflegekräfteacquise, Ausbildung, Weiterbildung über den Medizintourismussektor mit angeboten oder bearbeitet.

Es wurde mit der Unterstützung des Gesundheitsministeriums eine Delegationsreise nach Usbekistan durchgeführt und eine Veranstaltung besucht. Von Kliniken auf deutscher Seite wird  regelmäßig Interesse für einen Austausch mit Usbekistan bekundet.

Definitiv gibt es eine beidseitige Sprachhürde, jedoch spricht auch in vielen deutschen Kliniken keiner Englisch oder Russisch. In Usbekistan wurde die Delegation sehr freundlich und offen empfangen, man kommunizierte auf Deutsch oder Englisch, sonst gab es einen Übersetzer.

Mariam Asefi fungiert mit ihrem eigenen Migrationshintergrund und ihrer Arbeit in dem Forschungsbereich des Medizintourismus als Brückenbauerin. Sie bildet Brücken zwischen den Ländern, die Interesse am Gesundheitssystem in Deutschland haben oder Patienten, aber auch Kooperationspartnern, um alles, was das Thema „Gesundheitstourismus“ bedient, zu unterstützen und natürlich auch Deutschland zu unterstützen, sich hier zu platzieren oder auch Erfahrungswerte zu sammeln und genauso ausländische Partner, die Interesse an Deutschland haben.

Das Thema interkultureller Austausch wird großgeschrieben, so dass regelmäßig Weiterbildungsseminare und Workshops zu russisch- oder arabischsprachigen Ländern angeboten werden. Denn überall werden aus Kliniken wie auch allen anderen Einrichtungen Service, Qualität und interkulturelle Sensibilität gegenseitig benötigt.

Was brauchen usbekische Patienten, die nach Deutschland kommen? Neben der medizinischen Behandlung benötigen sie entsprechenden interkulturellen Serviceaustausch,  die Sprache, die Logistik, Übersetzungsleistungen und Ärzte, die sich dafür Zeit nehmen.

Wenn wir umgekehrt als Deutsche nach Usbekistan fliegen, um uns dort behandeln zu lassen, haben wir genau die gleichen Erwartungen, dass man uns Übersetzungsangebote macht, das Gesundheitssystem erklärt und Transparenz zeigt.

Laut Mariam Asefi investiert das usbekische Gesundheitssystem sehr stark in diesen Bereich.

Befragt zu den Problemen in der Branche erläutert Miriam Asefi, dass es bei der Patientenvermittlung viele Dienstleister gibt, die nicht ordnungsgemäß aktiv, d.h. nirgends registriert sind, aber Patienten betreuen. Auch für Übersetzer im medizinischen Bereich gibt es kein ausgebildetes Berufsfeld. Der Begriff „Vermittler“ bezeichnet eben keine Berufsgruppe. Ein riesiger Schwarzmarkt bedient dieses Thema, d.h. jeder kann Patienten betreuen ohne ein Qualitätssiegel, eine Zertifizierung oder eine Berufsdefinition. Weitere Probleme gesellen sich hinzu: Geldwäsche, Compliance, Korruption generell, sogar Visaerschleichung. Hierbei müssen sich die Kliniken davor schützen, dass medizinische Visa missbraucht werden. Wenn Firmen, die als Dienstleister agieren, dann mit dem Finanzamt ein Problem haben, betrifft es in der Kette vielleicht die Kllniken, wenn diese sich nicht abgesichert haben. Asefi sieht einige juristische Lücken, wo es auf jeden Fall Handlungsbedarf gibt oder Unterstützung von Regierungsseite nötig ist.

Nach der Diskussion war ein weiterer Programmpunkt. Gerhard Kirsch steht dort, wo er nie stehen wollte: im Mittelpunkt! Die Teilnehmer würdigten seine Arbeit am Tourismus Dialog, der im kommenden Jahr bereits sein 25-jähriges Bestehen feiert, und seine Verdienste für Berlin. Gerhard Kirsch gibt den Vorsitz dieser renommierten Institution nicht nur formell, sondern nun auch faktisch ab. Es war eine veritable Zäsur – und Zeit zum Danksagen.

Die Interviews wurden von Mag. phil. Nader Mohamed geführt
und verschriftet von Kirsten Mische

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