Holger Münch der Präsident des Bundeskriminalamtes
BKZ: Herr Münch, Sie sind der Präsident des Bundeskriminalamts. Das ist eine Bundessicherheitsbehörde und eine tragende Säule der Sicherheitsarchitektur in Deutschland. Wie schätzen Sie die Entwicklung der politisch motivierten Kriminalität in Deutschland im Jahr 2023 ein?
Münch: Wir haben jetzt seit über 10 Jahren in Wellen immer wieder Anstiege, wir haben einen neuen Höchsststand im letzten Jahr mit über 60.000 Delikten politisch motivierter Kriminalität und damit fast eine Verdopplung innerhalb von 10 Jahren. Das natürlich besorgniserregend. Das Ganze ist auch deshalb besorgniserregend, weil wir auf der einen Seite starke Rückgänge hatten, weil wir nicht mehr die Versammlungen hatten, die sich mit den Corona-Beschränkungsmaßnahmen, Pandemiebeschränkungsmaßnahmen, befasst haben. Das war in 2022 ein Riesenthema. Und trotz dieser sehr starken Rückgänge haben wir am Ende noch einen Anstieg, weil in allen Phänomenbereichen wir durchgängig diese Anstiege haben. Und was uns Sorge macht, ist insbesondere der Bereich Hasskriminalität, der sehr stark zugenommen hat, die antisemitischen Straftaten, die sehr stark zugenommen haben, aber auch die steigenden Straftaten gegen Amts- und Mandatstragende in Deutschland.
BKZ: Kann man von Verrohung der Gesellschaft sprechen?
Münch: Auf jeden Fall kann man aktuell davon sprechen, dass die Verunsicherung, die wir in vielen Bereichen spüren, die weltpolitischen Ereignisse, die sich auch in Deutschland niederschlagen, Stichwort 7. Oktober: der Angriff der Hamas auf Israel oder vorweg der Ukrainekrieg und die wirtschaftlichen Folgen sich am Ende auch in politisch motivierten Delikten niederschlagen. Und wir müssen natürlich auch alles tun, damit der politische Diskurs nicht in Gewalt umschlägt, wenn nicht in Freund-Feind-Bilder umschlägt. Das macht sich z. B. an dem Thema „Gewalt gegen Amts- und Mandatstragende“ bemerkbar und deshalb haben wir auch im BKA eine zentrale Meldestelle für Internetkriminalität eingerichtet, um Hass-Postings im Netz viel intensiver zu verfolgen. Das ist ein Beitrag, als Beispiel, den wir dazu leisten.
BKZ: Wie kann der Staat die Wehrhaftigkeit der Demokratie in diesem Land stärken?
Münch: Nun, wir brauchen auf der einen Seite natürlich auch das Signal, dass es in Deutschland nach wie vor möglich ist, frei seine Meinung zu äußern, Stichwort: Versammlungen sind möglich, bleiben möglich. Und wir sehen das an der hohen Zahl der Vesammlungen, nicht nur in ’23, auch im Jahr 2022. Auf der anderen Seite muss es auch darum gehen, dass Grenzen klar gezogen werden und die auch eingehalten werden. Friedlich und ohne Waffen, steht im Grundgesetz, darf man sich versammeln. Und natürlich darf man auch nicht wie wild andere Menschen beleidigen und sie bedrohen. Und hier muss auch der Staat ansetzen. Wer sich für die Gemeinschaft engagiert, und damit meine ich nicht nur Amts- und Mandatstragende, ich meine auch Ehrenamtliche, die müssen auch einen besonderen Schutz genießen, d. h. Strafverfolgung muss hier auch ansetzen. Wir brauchen da klare Stoppsignale. Am Ende muss aber auch klar sein: Der Diskurs insgesamt, der politische Diskurs, über den müssen wir auch reden. Es darf nicht normal sein, dass wir uns in Deutschland in Lager aufspalten und jeder nur noch seine Meinung sagt und in seiner Meinungsblase unterwegs ist. So kommen wir nicht zusammen, so finden wir auch keine guten Lösungen. Und das ist auch nicht Demokratie. Und das, glaube ich, müssen wir alle gemeinsam rüberbringen.
BKZ: Letzte Frage: Nach Angaben des Statistischen Bundesamts werden zwei Drittel der Strafverfahren jährlich eingestellt, ein Drittel davon wird zur Bewährung ausgesetzt. Sind Sie für eine Priorisierung der Strafverfahren, dass Sie die Strafverfolgung gegen Intensivtäter oder Mehrfachtäter genauer machen wollen, und empfehlen Sie bei denjenigen, die einmal straffällig geworden sind, das Verfahren einzustellen?
Münch: Nun, das sind Konzepte, die wir schon länger im analogen Bereich machen. Mehrfach-/Intensivtäterkonzepte gibt es in allen Bundesländern, insbesondere macht man das übrigens auch bei jungen Straftätern. Wir wissen ja, dass Regelüberschreitungen quasi zum Erwachsenwerden gerade bei Jungen mit dazugehört, also bei männlichen Jugendlichen, und man nicht jedes Mal sofort mit Strafe reagieren muss, aber insbesondere dann, wenn es zu Wiederholungen kommt. Die Herausforderung ist, das Gleiche auch im Netz zu tun. Und das heißt, ich muss dann ja auch wissen, dass jemand Mehrfachtäter ist, und das geht nur mit völlig neuen Prozessen. Wir im BKA, wir haben eine zentrale Meldestelle, wir haben damit eine Menge an Eingängen, und wir können auch hier – und müssen auch dürfen – die Mehrfachtäter herausarbeiten, also nicht alle Daten löschen, sondern auch auswerten können. Dasselbe gilt natürlich auch für Anzeigen, die in verschiedenen Bereichen der Republik auflaufen, teilweise die gleichen Personen betreffen. Dazu haben wir einen Prozess aufgebaut, dass wir eben auch solche Überschneidungen erkennen, zusammenführen können und eben auch Mehrfach- und Intensivtäter erkennen.
Und wir müssen auf dieser Basis auch neue Verabredungen mit der Justiz treffen.
Auch das ist nicht mehr nur mit der örtlichen Zuständigkeit gelöst im digitalen Zeitalter.
Das ist eine Herausforderung, da sind wir gerade mittendrin und da müssen wir auch noch Fortschritte machen, dass wir eben im digitalen Bereich rechtzeitig erkennen: Um wen müssen wir uns kümmern? Und darauf die Ressourcen hinlegen. Bei wem müssen wir es nicht tun? Kann man es auch lassen? Und dann vorne einstellen und nicht hinten, wenn schon ganz, ganz viele Ressourcen in die Ermittlung gesteckt worden sind.
BKZ: Dankeschön, vielen Dank für Ihre Zeit.
Interview geführt von Mag. phil. Nader Mohamed
verschriftet von Kirsten Mische