Frau Marika LINNTAM, die Botschafterin von Estland in Berlin
Estland gilt vielen als bürokratisch bekannten Ländern wie Deutschland als Vorbild in etlichen Bereichen, etwa der Digitalisierung, Gesundheitsdatennutzung (e-Health), Digitaler Staat (e-Government), e-Voting, e-Schule und kaum Bürokratie. Mithilfe von Computerprogrammen kann jeder Schüler sich in seiner eigenen Geschwindigkeit den Unterrichtsstoff erarbeiten. Solche Lösungen sind in Deutschland noch unvorstellbar und kaum durchzusetzen, hier hört man dagegen nur vom Lehrermangel und keine praktikablen Vorschläge.
Hintergründe:
Als nördlichster der drei baltischen Staaten grenzt Estland im Süden an Lettland, im Osten an Russland und im Norden und Westen an die Ostsee. Mit einer Fläche von ca. 45.000 Quadratkilometern ungefähr so groß wie Niedersachsen, jedoch mit einer Bevölkerung von nur 1,3 Millionen lediglich etwa 1 Sechstel dessen Einwohnern, zählt Estland zu den kleinsten Ländern der Welt.
Zu den deutsch-estnischen diplomatischen Beziehungen
Die Geburtsstunde der deutsch-estnischen diplomatischen Beziehungen war die Anerkennung der Republik Estland de jure am 9. Juli 1921. Nach der Wiederherstellung der Einheit Deutschlands am 3. Oktober 1990 und der Wiedererlangung der Unabhängigkeit Estlands am 20. August 1991 wurden die diplomatischen Beziehungen zwischen den beiden Ländern am 28. August 1991 erneut aufgenommen.
Durch den offiziellen NATO-Beitritt Estlands am 29.03.2004 und seinen EU-Beitritt am 1. Mai 2004 wurden wichtige Rahmenbedingungen für den Ausbau der bilateralen Beziehungen gesetzt. Heute erfolgt zwischen den beiden Ländern nicht nur in den Bereichen Außen- und Sicherheitspolitik, Wirtschaft, digitaler und grüner Wandel, Kultur und Bildung ein reger Austausch, sondern auch weit darüber hinaus, woran vorwiegend die Kooperation und die Kontakte zwischen den Menschen, Unternehmen und diversen Institutionen sowie kulturellen Trägern Anteil haben.
Zu den deutsch-estnischen wirtschaftlichen und Handelsbeziehungen
Die Wirtschaft Estlands in Kürze: s. Fotos unten!
https://www.gtai.de/de/trade/estland-wirtschaft/wirtschaftsausblick
Deutschlands Direktinvestitionen in Estland betrugen laut GTAI.de (Germany Trade and Invest) 1,6 Mrd. Euro im Jahr 2021. Nach Angaben der Bundesbank existierten in Estland in 2021 54 deutsche Unternehmen mit 6.000 Mitarbeitenden, die einen Jahresumsatz von 13,1 Mrd. EUR erwirtschafteten. Deutsche Exporteure von chemischen Erzeugnissen haben in Estland aufgrund von Verlusten in den Sparten Industriechemikalien sowie Arzneimitteln Marktanteile eingebüßt. Gleiches trifft auf die Exporte von Kfz und Kfz-Teilen zu, denn vor allem die Pkw-Importe haben sich von mehr als 40 Prozent der Gesamteinfuhr in 2000 auf weniger als 20 Prozent in 2020 halbiert.
Zu den deutsch-estnischen kulturellen Beziehungen:
Im Jahre 1993 wurde zwischen den Regierungen Estlands und Deutschlands das Abkommen über die kulturelle Zusammenarbeit geschlossen. Da in Deutschland die Zuständigkeit für kulturelle und Bildungsthemen bei den Bundesländern liegt, wird der Großteil dieser Zusammenarbeit auf Länderebene geleistet. Kulturelle Veranstaltungen mit Estland-Bezug werden meistens von Partnerstädten und -regionen organisiert.Die wichtigsten Botschafter der deutschen Kultur in Estland sind das Deutsche Kulturinstitut in Tallinn und Tartu sowie das 1998 eröffnete Goethe-Institut am Deutschen Kulturinstitut in Tallinn.
Zum Tourismus in Estland
Ca. 4 Millionen Touristen besuchen Estland jährlich und besuchen die folgenden Sehenswürdigkeiten:
- Tallin: die Rathausapotheke, Kadriorg („dicke Margarethe“/Museum und Besucherzentrum gehören zum Welterbe der UNESCO), die Straßen des Stadtviertels Kalamaja, der Fernsehturm, die Sängerfestbühne, Alexander-Newski-Kathedrale
- Steilküste auf der Insel Saaremaa an der Ostsee und die Kuressaare-Burg
- Schloss Katharinental (Palast aus dem russischem Kaiserreich)
- Jägala-Wasserfall: Größter Wasserfall Estlands
- Hanse- und Universitätsstadt Tartu: Botanischer Garten, Estnisches Nationalmuseum, Naturkundemuseum, Domkirche, Spielzeugmuseum, Sternwarte, Le Coq Biermuseum und Erlebniszentrum
- Nonnenkloster Pühtitsa in Kuremäe
- Mittelalterliche Burg Rakvere (Wesenberg)
- Pärnu: Sommerhauptstadt Estlands mit langem Sandstrand und Standpromenade an der Ostsee
- Insel Hiiumaa und ihre Leuchttürme
- Halbinsel Käsmu im Lahemaa-Nationalpark an der Nordküste Estlands
- Soomaa-Nationalpark
- Nationalpark Alutaguse
- Valaste-Wasserfall: Naturschauspiel vor bunter Wand
- Erlebniszentrum Tuuletorn
- WOW-Familien-Erlebniszentrum (für Spiele und Experimente)
Estland: Reise- und Sicherheitshinweise von AA:
https://www.auswaertiges-amt.de/de/service/laender/estland-node/estlandsicherheit/200754
Mein Interview
Auf dem Festival der Berliner Wirtschaft – Bildung X Business am 05.09.2024 in der IHK Berlin war Frau Marika LINNTAM, die Botschafterin von Estland in Berlin eine der Hauptrednerinnen. Mit ihr konnte ich das folgende kurze Interview führen:
BKZ: Guten Tag! Wer sind Sie und warum sind Sie heute da?
Linntam: Hallo, ich bin die Botschafterin von Estland in Deutschland, Marika Linntam, und ich nehme teil an einer Diskussion über Bildung und Digitalisierung.
BKZ: Warum ist Estland ein Vorbild für die Digitalisierung in Europa oder in der Welt?
Linntam: In Estland sind wir schon seit Jahren ganz digitalisiert und von öffentlichen Dienstleistungen in Estland sind 99 % online verfügbar. Das erlaubt uns ganz viel Zeit, Energie und Nerven sparen und auch Geld sparen.
BKZ: Können Sie uns Beispiele über die Digitalisierung des Bildungssystems in Estland geben, bitte?
Linntam: Im Bildungssystem sehen wir auch die digitalen Werkzeuge als eine Möglichkeit. Also es ist nicht da, um den Lehrer zu ersetzen, aber um den Lehrer zu unterstützen. Zum Beispiel gibt es eine Plattform, wo die Eltern, die Kinder und auch die Lehrer alle Zugänge zu Informationen haben, wie es eigentlich geht, und man kann auch sehen mit Hilfe der digitalisierten Werkzeuge, welche Bedürfnisse die Schüler und Schülerinnen haben und dann kann man bessere Bildungsstrategien ausbauen.
BKZ: Das war das Thema von heute. Aber im Allgemeinen ist Estland ein Vorbild in anderen Bereichen, z.B. e-Health also im Gesundheitswesen. Können Sie das bitte erklären: Was ist dort besser als in anderen Ländern?
Linntam: Ja, auch im Gesundheitsbereich gibt es eine E-Plattform. Natürlich ist auch Datenschutz sehr, sehr wichtig und das ist auch garantiert. Aber es ermöglicht dem Patienten auch Zugang zu seinen Daten und wir sehen es als wichtigen Teil unseres Gesundheitssystems. Aber auch in allen anderen Bereichen, z. B. Steuererklärung natürlich ist digitalisiert und man braucht nur einige Minuten normalerweise, um seine Steuererklärung zu machen. Aber wie gesagt, 99 % von öffentlichen Dienstleistungen sind online verfügbar. Alles, fast alles.
BKZ: Wie reflektiert sich das auf die Beziehung zwischen den Bürgern und den Behörden? Dauert es ewig bei Passausstellung oder Ausweisausstellung, was wir hier in Deutschland erleben. Wie lange dauert das in Estland z. B., die Kontakte zwischen Bürgern und Behörden?
Linntam: Also, normalerweise kann man alles online erledigen und so muss man nicht zur Behörde und solange in der Schlange stehen. So ist es, glaube ich, ganz hilfreich für viele Bürger.
BKZ: Also kann man sagen, es gibt kaum Bürokratie in Estland, oder ist das eine Übertreibung?
Linntam: Ja, vielleicht. (lacht) Auch in Estland sprechen wir über Abbau von Bürokratie. Das ist, glaube ich, überall ein Thema, aber in Estland ist alles so viel digitalisiert, da brauchen die Bürgerinnen und Bürger weniger Zeit für alle Schritte. Und ich glaube, es gibt auch weniger insgesamt.
BKZ: Vielen Dank für Ihre Zeit.
Interview geführt von Mag. phil. Nader Mohamed
verschriftet von Kirsten Mische