Die russischen Behörden starteten eine Kampagne zur Schließung von Memorial, der führenden unabhängigen zivilgesellschaftlichen Gruppe des Landes, die immens zur Bewahrung des historischen Gedächtnisses in der Sowjetunion und Russland beigetragen hat. Die Vision des Kremls von der Vergangenheit wird zunehmend ideologisiert. Dies gilt insbesondere für die Vorstellung des Sieges über Nazi-Deutschland 1945, die zu einer Art Gründungsmythos des Putinismus geworden ist. Das historische Narrativ soll das autoritäre Regierungssystem als optimal für Russland legitimieren und damit das den Interessen des Kremls dienende Modell der Staat-Gesellschaft-Beziehung verewigen. Seine wichtige Funktion besteht darin, Moskaus aggressive Außenpolitik im 21. Jahrhundert und seine Ambitionen, die internationale Ordnung einschließlich der europäischen Sicherheitsarchitektur zu beeinflussen, zu rechtfertigen.
Es stellen sich mehrere Fragen:
- Wie bewahrt das Regime die „kanonische“ Vision der Vergangenheit?
- Warum ist die Populärkultur eines der effektivsten Werkzeuge, um militarisierte und autoritäre Denkweisen zu formen?
- Warum sehen die Russen Stalin immer positiver und wie korrespondiert das damit, dass immer mehr junge Menschen die schwierige Geschichte ihrer Familien, Gemeinden und Heimatorte erforschen wollen?
- Wie hilft das Internet?
Auf der Suche nach Antworten untersuchen die Autoren sowohl die Tätigkeit des Staates als auch den Wandel in der Mentalität der russischen Bürger.
Das Pilecki-Institut Berlin hat eine Veranstaltung unter dem Titel „Vorwärts, in die Vergangenheit! Russland und die Erinnerungspolitik“ organisiert. Bei dieser Veranstaltung wurden die Kernthesen des OSW-Berichts: „Vorwärts, in die Vergangenheit! Russlands Erinnerungspolitik im Dienste des „ewigen“ Autoritarismus. OSW-Bericht, Warschau 2021.“ von Maria Domańska und Jadwiga Rogoża präsentiert.
Teilnehmer:
- Hanna Radziejowska, Maria Domańska (Pilecki-Institut-Berlin)
- Jadwiga Rogoża (OSW),
- Nikita Pietrow (Memorial),
- Juliane Fürst (Leiterin Kommunismus und Gesellschaft, ZZF .) Leibniz-Zentrum für Zeitgeschichte).
Die Diskussion wird von Mateusz Fałkowski moderiert.
Das Interview der Berliner Kriminalitätszeitung mit Mateusz Fałkowski, dem Stellvertretender Leiter des Pilecki-Instituts Berlin.
BKZ: Was macht das Pilecki-Institut in Berlin? Welche Beschäftigung, Ziele oder Funktion hat es?
Fałkowski: Wir vermitteln polnische Geschichte hier in Berlin, also d.h. unser Schwerpunkt ist im 20. Jahrhundert entstandene Polnische Geschichte für die Berliner und für die Deutschen generell.
BKZ: Woher kommt der Name Pilecki? Ist das eine berühmte Persönlichkeit?
Fałkowski: Witold Pilecki war ein Untergrundoffizier, also von der Heimatarmee während des 2. Weltkrieges und wir haben eine ganze Ausstellung, also historisch-narrative Ausstellung zu Pilecki. Pilecki war also freiwillig nach Auschwitz gegangen, also während des Krieges, um dort Informationen über Lager zu sammeln.
BKZ: Was für ein Event war heute Abend in diesem Institut?
Fałkowski: Also heute Abend hatten wir eine Diskussion zu russischer Geschichtspolitik und Erinnerungspolitik und wir hatten wunderschöne Gäste aus Warschauer Zentrum für Osteuropäische Forschung.
BKZ: Und worum ging es, was war das Ergebnis der Diskussion?
Fałkowski: Also, die Ergebnisse sind offen. Also wir haben über die Entwicklung der russischen Geschichtspolitik gesprochen und auch über negative Tendenzen, z.B. heute ist die Situation vom Memorial und anderen sozialen Akteuren in Russland also ganz schwierig.
BKZ: Die Situation ist immer noch ganz gefährlich. Wir haben schon heute Abend gehört, dass Russland gegen Georgien und gegen die Ukraine aggressiv war. Geht diese Sache weiter, ist Polen auch bedroht oder die baltischen Länder?
Fałkowski: Das wissen wir nicht, natürlich. Aber wir glauben, dass das eine reale Gefahr ist, also dass wir das tatsächlich seriös nehmen müssen, und deswegen haben wir diese Diskussion auch also hier in Berlin organisiert.
Interview geführt von Mag. phil. Nader Mohamed
verschriftet von Kirsten Mische