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27/07/2024
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STEFAN MAIR, Direktor (SWP): Im Koalitionsvertrag wurde die „Deutsche Außen- und Sicherheitspolitik“ sehr weit hinten rangiert.

Dr. STEFAN MAIR, Direktor der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP)

Meine sehr geehrten Damen und Herren,

herzlichen Dank für die Einladung und auch dass Sie den Weg hierher gefunden haben.

Ich habe mich um maßgebliche Konkurrenz beworben: die Regierungserklärung des Bundeskanzlers. Ich hab’ sie bis zwanzig nach neun verfolgt, da kam das Thema „Deutsche Außen- und Sicherheitspolitik“ noch nicht vor, vielleicht .. ich glaub’, andere haben sie weiterverfolgt, später, aber das ist natürlich auch etwas das Spiegelbild des Koalitionsvertrags, wo dieses Thema ja auch wieder mal sehr weit hinten rangiert. Ein Kollege von mir hat es ausgerechnet, er nimmt 15 % des Koalitionsvertrages ein. Ich verweise dann immer darauf, naja, es finden sich auch sicherheitspolitische Bezüge auch in anderen Teilen des Koalitionsvertrags, aber letztendlich ist es nur ein Teilbereich.

Vielleicht doch noch ein oder zwei Worte vorab zur SWP. Also sie ist das, was man landläufig „Thinktank“ nennt. Wir haben den Begriff nicht allzugerne, wir sagen eher, wir sind ein forschungsbasiertes Institut, das Bundesregierung und Bundestag vor allem in Sachen Außen- und Sicherheitspolitik berät, seines Zeichens ein ziemlich großes, zumindest für europäische Verhältnisse. Wir haben ungefähr 200 Mitarbeiter, davon 85 wissenschaftliche Mitarbeiter, was uns in die Lage versetzt, tatsächlich aus meiner Sicht alle Felder deutscher Außen- und Sicherheitspolitik – nicht alle, aber zumindest die, die wir als relevant erachten – abzudecken. Wir sind trotz einer institutionellen Finanzierung aus dem Kanzleramt unabhängig, darauf beharren wir sehr.

Wer Zweifel hat, sollte vielleicht die ein oder andere Studie der SWP zur Hand nehmen, wo wir uns sehr kritisch mit der Politik der Bundesregierung immer wieder auseinandersetzen und ich glaube, dann verlieren Sie auch Zweifel an unserer Unabhängigkeit.

Was will ich eingangs mit Ihnen machen, bevor wir, glaub’ ich, den Fokus hier auf die Diskussion legen? Ich hab’ mir die Teile… die außen- und sicherheitspolitischen Teile des Koalitionsvertrags noch einmal ausgedruckt – ich wird’ sie nicht vorlesen, also jeder, der sie erwartet hat, den muss ich jetzt enttäuschen, sondern ich werde eher versuchen, eigentlich drei große zentrale Herausforderungen zu skizzieren, die ich sehe für die nächsten Jahre und vielleicht über die vier Jahre der jetzigen Koalition hinaus. Die Koalition hat ja die Ambition, mehr.. länger als vier Jahre zusammenzuarbeiten, also insofern sind das auch Herausforderungen, die darüber hinausgehen.

Letztendlich sind’s aus meiner Sicht drei: Das erste ist eine Position … eine Rolle für Europa, für Deutschland zu finden in dem, was viele systemischen Wettbewerb, andere Großmachtrivalität nennen. Das zweite ist Zusammenhalt und Handlungsfähigkeit nach außen der Europäischen Union, und das dritte – die ersten beiden sind ja in der Regel unumstritten, sie werden auch relativ häufig genannt – das dritte, was mich sehr stark beschäftigt, ist die große Kluft, die wir haben zwischen globalen Herausforderungen wie Klimawandel, Pandemie – ich kann ’ne ganze Reihe andere nennen – und der Dysfunktionalität, also dem mangelnden Funktionieren multilateraler Organisationen.

Das sind für mich drei.. drei zentrale Herausforderungen, mit denen die Bundesregierungen in den nächsten Jahren zu tun haben. Vielleicht mal der Reihe nach mal diese drei skizziert: Systemischer Wettbewerb und Großmachtrivalität. Das ist eine, die auf mehreren Ebenen stattfindet und mehrere Ausprägungen haben. Am wichtigsten ist mit Sicherheit die Rivalität zwischen USA und China, die wir seit … spätestens seit Donald Trump beobachten, aber die auch vorher sich schon abgezeichnet hat. Und sie wird eben überlagert durch das, was manche einen systemischen Profit nennen, zwischen Demokratien einerseits und Autokratien andererseits. Die Ausgangspunkte, mit denen sich gerade USA und China in diese Rivalität begeben, sind sehr unterschiedlich.

China lebt im Gefühl des unvermeidbaren Aufstiegs, der Überlegenheit des Systems, der Finanzmarktkrise, der Instabilität Europas, aber auch die Trump-Administration oder eben auch das Versagen einiger westlicher Demokratien bei der Bewältigung der Covid-19-Pandemie steht für sie. Und sie sehen darin eben einen unvermeidlichen Niedergang des Westens. Daraus wird auch ein globaler Gestaltungsanspruch abgeleitet –  der ja auch sehr legitim ist –  , aber eben auch eine sehr offensive –  manche würden sagen: aggressive – Diplomatie gegenüber anderen Ländern, auch gegenüber der Nachbarschaft. Für uns.. wir sehen auch verstärkt in der Taiwanstraße militärische Aggression.

Ich glaube, dass dieses Gefühl des unvermeidlichen Aufstiegs eine große Gefahr birgt, nämlich die Gefahr der Selbstüberschätzung, dadurch auch Risiken falsch zu kalkulieren und unter Umständen zu Aktionen zu greifen, die dann harte Reaktionen auch hervorrufen.

Auf der anderen Seite haben wir die USA, die auch spätestens seit Trump sich in einer tiefen Identitäts- –  manche würden sogar sagen: System- –   -krise befindet. Wir haben erlebt, dass sich der amerikanische Präsident von liberalen Werten distanziert, von den europäischen Verbündeten distanziert, die NATO infrage stellt, europäische Verbündete sogar als „foes“ bezeichnet hat. Und das Ganze geht einher und hat sich wechselseitig verstärkt mit einer starken Polarisierung der amerikanischen Gesellschaft.

Daraus begrenzt sich der Handlungsspielraum, den der amerikanische Präsident zukünftig für … in der Außen- und Sicherheitspolitik hat. Man bekommt aus der USA gespiegelt, dass es dort das Gefühl gibt, überfordert zu sein, auch mit der Rolle, die die USA spielt, und dass man sehr viel stärker in Zukunft bei den Verbündeten Lasten … eine fairere Lastenverteilung einfordern wird. Trump hat selbst – Trump, was sag’ ich Trump … Die Biden-Administration selbst hat ihre Außenpolitik unter den Titel gestellt „Foreign Policy For the Middle Class“ – das ist interpretationsfähig. Manche sehen sozusagen darin einen anderen.. einen Schleier für eine in Wirklichkeit protektionistische, isolationistische Politik. Soweit würde ich nicht gehen, aber es wird sehr deutlich, dass – wie ich schon sagte – die USA stärker auf Lastenteilung setzen werden, stärker das internationale Engagement der USA für öffentliche Güter infrage stellen werden.

Im Mittelpunkt der Außenpolitik steht ganz klar die Auseinandersetzung mit China, auch das haben die beiden Administrationen immer wieder betont. Und das bedingt natürlich gerade dann, wenn ich die Lasten für die eigene Bevölkerung reduzieren will, dass ich mich aus anderen Politikfeldern tendenziell eher zurückziehe. Das deutlichste Zeichen war natürlich der schnelle Rückzug aus Afghanistan, aber auch im Nahen und Mittleren Osten gibt es Anzeichen dafür, dass die USA ihre Rolle deutlich zurückfahren wollen .. werden. Und sie fordern eben gegenüber den Verbündeten Lastenteilung ein, vielleicht auch nicht nur „burden sharing“, sondern „burden shifting“ und eben stärkere Unterstützung.

Beides bringt, sowohl der Aufstieg Chinas, die starke Rivalität zwischen USA und China, aber eben auch das Drängen auf Lastenteilung, Deutschland in eine relativ schwierige Lage, weil wir zum einen eben dieses äußere Erfordernis haben, mehr Verantwortung zu übernehmen, zum anderen – und alle Umfragen, die wir kennen, sprechen dafür – eine Bevölkerung haben, die diese Notwendigkeit nicht sieht und noch viel weniger bereit ist, die Kosten und unter Umständen auch die Risiken dafür zu tragen, vor allem, wenn es dann um militärische Risiken geht.

Und zweiter wichtiger Punkt ist natürlich, dass unsere Interessenlage gegenüber China ’ne andere ist als die USA. Für uns ist China ein imminent wichtiger Handelspartner, nicht nur für Importe, sondern auch für Exporte, deutsche Unternehmen sind massiv in China investiert, d.h. die ganze Diskussion, die unter der Trump-Administration angefangen hat, eine Isolierung Chinas ist nicht im deutschen Interesse. Im deutschen Interesse ist aus meiner Sicht auch nicht, dass sich dieser systemische Wettbewerb, den ich kurz skizziert habe, diese Großmachtrivalität, in eine neue Blockkonfrontation wendet.

Wir wissen alle, dass diese Blockkonfrontation enorme wirtschaftliche, gesellschaftliche Kosten verursachen würde, aber eben auch es unheimlich schwer machen würde, künftig mit globalen Herausforderungen umzugehen. Dennoch sehe ich die große Notwendigkeit, die Chinapolitik der Bundesregierung neu zu bestimmen. Hier, finde ich, ist der Koalitionsvertrag auch relativ weit gegangen. Er nimmt letztendlich Diskurs auf den .. die Europäische Kommission vor zwei Jahren mit ihren .. „Elemente einer Chinastrategie“, hießen sie – begonnen hat, nämlich China sowohl als Partner als auch Wettbewerber und systemischer Rivale zu betrachten. Hier gibt es das schöne, im Deutschen etwas merkwürdig klingende Wort der „Kompartmentalisierung“ der Außenpolitik, d.h. wir müssen sehen: In welchen Politikfeldern ist es unvermeidlich, mit China Partnerschaftsbeziehungen einzugehen? Das ist mit Sicherheit im Feld des Klimawandels so.

Wo treten wir mit China in einen Wettbewerb? Wie können wir ihn auch möglichst fair gestalten in Wirtschafts- und Technologiefragen? Aber wo ist China auch ganz eindeutig ein systemischer Rivale? Wenn es auf die .. um die Einflussnahme beispielsweise auf die deutsche Öffentlichkeit geht, sogenannte hybride Bedrohungen, wenn es darum geht… die Sicherheit im südchinesischen Meer und in der Taiwanstraße und wenn es geht um Menschenrechte und die politische Ordnung. Der Koalitionsvertrag betont aus meiner Sicht auch zu Recht, dass es wichtig ist, diese Strategie und die Beziehung zu China, die ja durchaus von deutscher Seite Sonderbeziehungen waren, in einen europäischen Kontext einzubetten, eine europäische Strategie zu finden, um diese transatlantisch darzustellen.

Diese Großmachtrivalität hört natürlich nicht mit China auf, sondern wir können sie auch in anderen Feldern beobachten.

In unserem engsten Umfeld sehen wir, dass Russland und Türkei sich immer mehr als klassische Großmächte auch verhalten, d.h. in Konkurrenz treten um Einflusszonen, Zugriff auf Rohstoffe, politischen Druck ausüben, Zugang zu Märkten versuchen zu monopolisieren und hybride Machtprojektion betreiben, also Einflussnahme auf die öffentliche Meinung und sich dadurch auch und sich intern immer mehr autoritär entwickeln. Ich glaube, dass in diesem Umfeld der Großmachtrivalität und der systemischen Konkurrenz Deutschland und Europa große Gefahr laufen, zum Spielball dieser Situation zu werden.

In einer Neuauflage des Kalten Krieges hätte Europa anders als im alten Kalten Krieg nur ’ne periphäre Rolle. Die entscheidenden Konfliktlinien würden nicht in Europa verlaufen, so im alten alten Kalten Krieg, sondern im Interpazifik und das würde auch sozusagen die Rolle und Bedeutung Europas sehr stark relativieren und unsere Möglichkeiten, tatsächlich auf die Politik der USA Einfluss zu nehmen, wären deutlich geringer. Ziel Europas muss es sein, in einer multipolaren Welt zu einem eigenständigen Pol zu werden. Nicht über Distanz zu allen anderen Polen – wir wissen genau, dass wir zu einem Pol USA immer sehr viel engere Beziehungen haben werden als zu vielen anderen – aber eben eigenständig handeln zu können.

Und damit komme ich zu meinem zweiten Punkt: Zusammenhalt und Handlungsfähigkeit der Europäischen Union. Wir wissen genau, dass es mindestens zwei, wenn nicht sogar drei, vier Felder gibt, in denen dieser Zusammenhalt gefährdet ist. Der Streit über Rechtstaatlichkeit in Ungarn und Polen gehört dazu, die in den vergangenen Jahren wachsende Divergenz zwischen europäischen Mitgliedsländern, die sozusagen diese ganze Idee der europäischen Konvergenz im Binnenmarkt infrage gestellt hat, gehört dazu, die Migrationspolitik gehört dazu, also wir haben ’ne ganze Reihe von Feldern, in denen Europa gespalten ist. Wir haben aber auch, finde ich, durchaus Aspekte, die uns in die Lage versetzen könnten, das zu heilen. Ich glaube, dass der Next Generation EU ’ne ganz große Rolle spielen wird, um tatsächliche wirtschaftliche Konvergenz wieder nach vorne zu bringen.

Wichtig ist eben auch hier, dass er entsprechend den Vorgaben umgesetzt wird und ich hoffe auch, dass wir durchaus, was ja die alten Bundesregierungen eigentlich immer so abgelehnt haben, auch in den nächsten Jahren bereit sind, gerade unter dem Aspekt „Zusammenhalt“, „weitere Entwicklung Europas“ auch wieder über europäische Verträge zu reden, etwas, was wir lange Zeit ausgeschlossen haben als furchtbar und wenn wir jetzt anfangen, darüber zu reden, dann würde das den Auflösungsprozess Europas beschleunigen. Ich glaube, es ist notwendigst, darüber nachzudenken, wie wir die bestehenden Vertragsregelungen überprüfen und natürlich auch Einrichtungen wie den Stabilitäts- und Wachstumspakt zu überprüfen. Das liest man nicht so explizit aus dem Koalitionsvertrag, aber steht aus meiner Sicht als eine der vorrangigen Aufgaben drin.

Ich glaub’, dass auch die Bundesrepublik, die Bundesregierung wieder zurückfinden muss in eine Rolle, wo sie versucht, Brücken zu bauen zwischen den unterschiedlichen Formationen in Europa, zwischen den nördlichen und den südlichen Mitgliedstaaten, zwischen großen und kleinen Mitgliedsstaaten. Ich glaube, dass wir in den vergangenen Jahren zumindest im Vergleich zur Kohl-Regierung gerade unsere Funktion gegenüber den kleinen.. den kleineren Mitgliedsstaaten verloren haben und wir die wichtige deutsch-französische Beziehung eben auch dadurch ergänzen müssen, dass wir das wieder sehr viel stärker pflegen. Der Koalitionsvertrag ist durchaus ehrgeizig in Bezug auf Europa, er lässt sich das ein oder andere Hintertürchen offen. Das betrifft natürlich vor allem die europäische Fiskalpolitik.

Wir wissen alle, dass es dort Differenzen gibt in der Koalition, wie diese zukünftig ausgestaltet werden. Aber sie sind eben auch offen, finde ich, dort das eine oder andere weiterzuentwickeln. Am deutlichsten ist der Koalitionsvertrag tatsächlich dann, wenn er von der europäischen Einbettung deutscher Außen- und Sicherheitspolitik spricht. Der Begriff der europäischen strategischen Souveränität, der ja durchaus in der alten Bundesregierung umstritten war, wird ja jetzt von dieser neuen Koalition sehr stark betont, sehr stark nach vorne gehoben. Ich glaube, dass es jetzt wichtig ist, diesen Begriff, über den ja lange Zeit, wie ich finde, abstrakt semantisch diskutiert wurde, jetzt konkret zu füllen – was heißt das? In welchen Feldern wollen wir souverän eigenständig handeln? Und welche Fähigkeiten brauchen wir, um eigenständig handeln zu können?

Da gibt es mit Sicherheit drei, vier Felder, die mir sofort einfallen würden. Ich glaube, dass wir die Fähigkeiten Europas stärken müssen, uns gegen wirtschaftliche Zwangsmaßnahmen zu wenden. Das ist auch eine Priorität der gegenwärtigen Kommission gewesen. Dass wir Fähigkeiten entwickeln müssen, auch Europa wieder als Standardsetter in technologischen Fragen zu verstehen und dass wir natürlich auch nicht an der Frage vorbeikommen: Welche militärischen Fähigkeiten braucht Europa und welche gemeinsame Kontrolle brauchen diese militärischen Fähigkeiten?

Wichtig, glaub’ ich, ist aber auch noch mal zu klären: Welches grundsätzliche Verständnis haben wir bezüglich europäischer strategischer Souveränität? Und da … das ist ja ein Feld, wo es in den vergangenen zwei, drei Jahren durchaus kontroverse Diskussionen zwischen Paris und Berlin gab, kontroverse Diskussionen, die auch wichtig sind. Weil es natürlich einerseits das Verständnis gibt, strategische Souveränität, oder noch stärker, wenn es mit dem Begriff strategische Autonomie verbunden wird, sei gleichbedeutend mit einer Abkopplung von den USA, mit einer Neigung zu protektionistischer Politik, mit einer Errichtung einer „Fortress Europe“.

Das ist etwas, was so gerade von deutschen Gesprächspartnern oft den französischen Gesprächspartnern unterstellt wird und stattdessen wird von Berliner Seite immer stärker die Offenheit auch Europas betont, dass eben die Stärkung der strategischen Souveränität die Stärkung der europäischen Säule im transatlantischen Bündnis bedeutet und nicht die Abkopplung von den USA. Wichtig ist, glaub’ ich, wenn man über strategische Souveränität spricht, auch noch mal auf die dafür notwendigen Mittel und Entscheidungsprozesse zu .. einen Blick zu werfen.

Der Koalitionsvertrag spricht sich – auch hier aus meiner Sicht wenig überraschend – für die Einführung qualifizierter Mehrheitsentscheidungen in der europäischen Außen- und Sicherheitspolitik aus, auch für eine Aufwertung des europäischen beauftragten in einen wirklichen Außenminister, eine Stärkung des Europäischen Auswärtigen Dienstes, und er bekennt sich auch – soviel zum Mittel – zu dem sogenannten Drei-Prozent-Ziel. Das Zwei-Prozent-Ziel wird vermieden für die Verteidigungspolitik, aber das Drei-Prozent-Ziel wird eingeführt, ohne es allerdings auszudifferenzieren, wie es sich verteilt. Die gängige Interpretation des Drei-Prozent-Ziels, zumindest die, die ich kenne, ist 2 Prozent Verteidigung, 0,7 Prozent Entwicklung und Zusammenarbeit, 0,3 Prozent Diplomatie und auswärtige Kulturpolitik, das steht zumindest so im.. also, nicht die Aufteilung, die drei Prozent stehen im Koalitionsvertrag.

Letzter Punkt, auf den ich nochmal eingehen will: globale Herausforderungen/dysfunktionale Institutionen. Wie gesagt, wir haben eine für mich sehr große Kluft zwischen dem, was wir an globalen Herausforderungen auf dem Tisch haben (Klimawandel, Pandemie, Terrorismus, Staatszerfall, nachhaltige Entwicklungen, Migration) und gleichzeitig die Leistungsfähigkeit… die geringe Leistungsfähigkeit multilateraler Institutionen. Es gab natürlich auch wieder Frustrationen über den letzten Klimagipfel COP 26. Wir haben erlebt, wie gerade zu Beginn der Pandemie die WHO deutlich hinter ihren eigenen Ambitionen zurückgefallen ..(ist). Wir beobachten seit Jahren, wie wenig handlungsfähig die WTO geworden ist. VN-Sicherheitrat  blockiert sich in der Regel immer wieder selbst durch Vetos oder Veto-Androhungen. Die G20 hat deutlich an Bedeutung verloren. Und diese Schwächung der multilateralen Organisationen verbindet sich eben durchaus dann eben auch mit dem systemischen Konflikt, von dem ich vorher gesprochen hab’.

Das heißt, wir haben eindeutige Tendenzen hin zu blockfreien Formierungen. Ich glaube, dass die Allianz der Demokratien durchaus diese Gefahr birgt. Ich sage immer, mir wäre sehr viel lieber der Begriff „Allianz für Demokratien“, weil es letztendlich darum geht, die Leistungsfähigkeit und Legitimität der Demokratien zu stärken und aus meiner Sicht weniger die Demokratien als Block zur Gestaltung verbaler Herausforderung herauszustellen. Und auf der anderen Seite haben wir sowas wie die „Group of Friends“, die „Friends of the Charta of the United Nations“ und ich weiß nicht, ob das hier schon jemand begegnet ist, aber das ist ’ne Formierung, in der sich Russland, China, Kuba, Belarus, Nordkorea und, glaube ich, zwölf andere Staaten zusammengeschlossen haben und versuchen sozusagen, dort zwar formal die UN-Charta zu verteidigen, aber durchaus auch einen eigenständigen Block zu bilden.

Die bisherige Antwort der Bundesregierung – und das findet sich so auch im Koalitionsvertrag wieder – auch dieser Tendenz war aus meiner Sicht  – also zumindest würd’ ich es so bezeichnen – Multilateralismus um jeden Preis. Der Multilateralismus schreitet fort. Wir engagieren uns überall, wo es nur irgendwie geht, multilateral. Das ist verständlich, weil natürlich Deutschland wie kein anderer Staat von der bestehenden multilateralen regelbasierten Weltordnung profitiert hat. Das hat uns erlaubt, globale Wertschöpfungsketten aufzubauen, international in vielen Regionen investiert zu sein, aber eben auch erlaubt, in relativer Sicherheit zu leben. Ich sehe aber durch dieses „Multilateralismus um jeden Preis“ eine klare Überforderung auch deutscher Politik. Ich glaube, dass wir zumindest sie überprüfen müssen in drei Schritten.

Wir müssen sehen: In welchen multilateralen Institutionen haben wir echte Reformchancen? Wo lohnt es sich zu engagieren? Wo sind wir auch bereit, mit dem – wie ich schon sagte – durchaus legitimen Anspruch von Großmächten wie China, Russland oder anderen auch die multilaterale Ordnung mitbestimmen zu wollen drauf einzugehen, Kompromisse einzugehen? Was sind wir bereit, selbst infrage zu stellen und wo snd wir nicht bereit, das zu tun? Der zweite Schritt ist dann nochmal zu überprüfen, ist denn das, was wir formieren, eine Allianz für Demokratie, nun ein stärkerer Zusammenschluss einer Koalition von Ländern, die die Werte teilen ? Ist denn das der richtige Schritt, den wir gehen wollen in den multilateralen Beziehungen?

Also ich sagte schon, ich hab’ große Sorge, dass wir in eine nicht so gewollte, aber in letztendlicher Tendenz dann passierende neue Blockbildung eintreten. Und dann sollten wir drittens überlegen, wo macht denn ein besonderes multilaterales Engagement Sinn? Also statt „Multilateralismus um jeden Preis“ würde ich eher argumentieren für selektiven Multilateralismus, der zum einen drauf blickt: Wo ist sozusagen, multilaterales Engagement aufgrund der Größe der Herausforderung unabdingbar? Dazu gehört natürlich Klimawandel, dazu gehört vielleicht auch Pandemie-Bekämpfung. Wo ist er unerlässlich für die eigene Sicherheit? Dazu gehört die NATO, dazu gehört natürlich auch die Europäische Union, Sicherheit und Wohlfahrt, vielleicht auch die OSZE.

Und welche plurilateralen Clubs und Formate können uns helfen, bestimmte Interessen nach vorne zu bringen, die wir haben? Da spielt die G7 eine Rolle, auch die OECD und vielleicht noch andere Formate. Ich glaube, dass wir aber darüber hinaus auch den großen Bedarf haben, über ein neues Format nachzudenken, und zwar ein Format, das zweierlei leisten kann.

Wir brauchen die Abstimmung über Politikfelder hinweg und über unterschiede hinweg zwischen einer relativ kleinen Gruppe von Staaten, die eben sozusagen versuchen, grundsätzlichen Konsens herbeizuführen, aber die zweitens auch es schafft, Interessenkonflikte, die es durchaus gibt, zur Eskalation … an der Eskalation zu hindern. Es gibt einen Vorschlag, der aus meiner Sicht den falschen Begriff verwendet, zumindest in Europa weckt er falsche Erinnerungen, nämlich den Vorschlag eines sogenannten „Mächtekonzerns“ Richard Haas und Charles Chucha haben das vor kurzem auf den Tisch gelegt, also das heißt ein Format, in dem – sie schlagen, glaube ich, sechs Länder vor –  USA, China, europäische Union, Japan, Russland und Indien sich immer wieder zusammenfinden und sozusagen ähnlich wie G7 oder G20 versuchen, sich diesen globalen Herausforderungen und den Interessen und Konflikten zu stellen. Jetzt schau’ ich mal ganz kurz auf die Uhr, ich hab’ das Gefühl, ich bin schon relativ lange …, das sind nur zwei, vielleicht drei, drei Bemerkungen nochmal zum Koalitionsvertrag: Ich glaube, der Koalitionsvertrag … oder ich glaube, in meiner Einschätzung hat … adressiert durchaus zwei von diesen langen Linien, die ich sehe, sehr gut, und das ist eindrucksvoll.

Das ist der Systemwettbewerb, der immer wieder auftaucht. Das ist das Thema der strategischen Souveränität. Ich glaube, er geht, wie ich schon gesagt hatte, im Fall Multilateralismus aus meiner Sicht zu weit, weil er die Beförderung bedeutet, aber er vermeidet oder besser gesagt: leistet leider nicht etwas, was ich sehr gerne gesehen hätte, nämlich auch eine Diskussion über eine Neuaufstellung der Bundesrepublik in der Außen- und Sicherheitspolitik.

Ich glaube, dass wir erneut die Chance verpasst haben, den Bundessicherheitsrat zu stärken in der Ausweitung seines Mandats, in der Errichtung eines Unterbaus. Ich sehe mit großer Sorge und ich glaub’, da bin ich nicht der Einzige, sondern jeder, der sich mit Außen- und Sicherheitspolitik in Deutschland beschäftigt, sieht, wie stark die Versäulung einzelner Politikfelder ist. Und ich kann mir kaum ein anderes Gremium vorstellen als einen Bundessicherheitsrat, der zumindest beiträgt, diese Versäulung zu überwinden. Er ist auch wenig konkret in der Frage: Über welche Mittel sollte Außen- und Sicherheitspolitik verfügen?

Wie gesagt, das Drei-Prozent-Ziel taucht zwar irgendwo auf, aber nicht dann in einer Detailliertheit und einer Konkretheit, dass man sagen würde, da sind jetzt die Schwerpunkte, sondern man führt eigentlich im Grunde genommen Politikfelder, so wie sie in der alten Koalitionsregierung definiert wurden, fort. Er hat, finde ich, eine Stärke nochmal, in Bezug auf strategische Aufstellungen, zum ersten mal ein Bekenntnis zu einer nationalen Sicherheitsstrategie, bei der ich, glaub’ ich, den Prozess der Diskussion der nationalen Sicherheitsstrategie als sehr viel wichtiger sehe als das Ergebnis. Ich glaube, wir brauchen eben eine strategische Debatte über das.

Und er sieht auch vor, dass die Bundesregierung in Sachen Außen- und Sicherheitspolitik stärker mit der Bevölkerung interagieren muss über Bürgerdialoge, über Bürgerforen, über regelmäßige Debatten im Bundestag. Und das mag vielleicht beitragen zu der Überwindung der Kluft, die ich eingangs kurz beschrieben hatte, zwischen einer Sichtweise, wenn man’s politiv formuliert, der strategischen Gemeinde in Deutschland, wenn man’s negativ formuliert, der Berliner Blase, die eindeutig mehr Verantwortung .. globale Verantwortung einfordert und eben einer Bevölkerung, die sehr zögerlich ist, dieser Forderung nachzugeben. Das war mein letzter Zettel und damit mach’ ich Schluss.

vielen Dank.

Aufgezeichnet von Mag. phil. Nader Mohamed
verschriftet von Kirsten Mische

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